Qualität kontra Herstellungsaufwand

Abwägung Leistung/Qualität gegen Herstellungsaufwand

Jeder der eine Maschine oder ein Gerät entwickelt, steht vor dem Dilemma, entweder der Qualität und Leistungsfähigkeit höhere Priorität einzuräumen oder den Schwerpunkt auf einfache billige Herstellung zu legen.

In den existierenden OSE-Spezifikationen werden beide Ziele erwähnt; hohe Leistungsfähigkeit und Effizienz wie bei industriell hergestellten Produkten genauso wie Einfachheit, modularer Aufbau und Eignung zur DIY-Herstellung. Von den schriftlich niedergelegten OSE-Grundsätzen her wird also weder der einen noch der anderen Richtung der Vorzug gegeben.

Meiner Meinung nach sieht die derzeitige praktische OSE-Tätigkeit aber so aus, dass einfacher und billiger Herstellung ganz klar oberste Priorität eingeräumt wird. Dazu mal eine Reihe von Beispielen.

  1. Einkauf Material und Komponenten
    Eine typische Quelle für Hydraulikkomponenten sind irgendwelche Surplus-Börsen. Diverse Überraschungen hat es dabei in der Vergangenheit schon gegeben. Bei den Hydraulikmotoren hat sich irgendwann herausgestellt, dass diese nicht für 2500 psi Druck, sondern für maximal 1200 psi gebaut waren. Andere kleinere Komponenten waren schon nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar und die Konstruktionen mussten für Ersatzkomponenten abgeändert werden.

  2. Konzept und Entwicklung Bulldozer
    Auch wenn der Bulldozer noch gar nicht existiert, so lässt sich doch ziemlich viel über die Konstruktion aus Forumsbeiträgen und Angaben im Wiki herausfinden. In einer Art Hochrechnung ist mir damit ziemlich klar, wie der Bulldozer aussehen wird.
    Geplant ist ein Rahmen aus Quadratrohren wie beim Lifetrac, Rohre leicht verstärkt. Die Verstärkung soll sich aber auf eine Vergrösserung der Wanddicke beschränken, es soll bei 4 Zoll Quadratrohr bleiben. Offenbar ist man bei FeF der Ansicht, etwas grössere Wanddicke reiche aus, um aus einem Rahmen für ein 2000 lbs Fahrzeug etwas Ausreichendes für ein Fahrzeug mit 10000-15000 lbs Gewicht zu machen.
    Für das Kettenfahrwerk soll das „bewährte“ Lifetrac-Kettenfahrwerk verwendet werden, ebenfalls etwas verstärkt. Ob bei FeF eigentlich niemand auf die Idee gekommen ist, dass die Leistungsfähigkeit und Geländegängigkeit von Bulldozern auch in weichem sumpfigem Gelände auf dem niedrigen Bodendruck beruht? Dieser niedrige spezifische Bodendruck beruht auf der riesigen Aufstandsfläche von Kettenlaufwerken. Gilt aber nicht für die Lifetrac-Konstruktion, wo die Ketten zwischen den Rädern ohne jede Abstützung sind.

  3. CNC Torch Table
    Prototypen gibt es jetzt, die Konstruktion ist auch weitgehend veröffentlicht. Leider hat man das Gerät statt mit direktem Positionsmessystem mit Schrittmotoren und mit Trapezspindeln statt Kugelrollspindeln gebaut. War halt einfacher und billiger.
    Die Konsequenz ist, dass der Apparat dank Umkehrspiel und anderer Fehlerquellen einen Positionsfehler von 0,5 mm aufweist laut FeF.
    Bei industriell hergestellten Maschinen liegt der Positionsfehler etwa bei 0,05-0,08 mm.
    Hohe Leistungsfähigkeit und industrielle Effizienz, ja ne ist klar !

  4. Backhoe-Entwicklung
    Der Backhoe-Entwicklung war bisher auch noch kein grosser Erfolg beschieden. Deshalb wurde im Sommer auf Grabcad, einem CAD Portal, ein Konstruktionswettbewerb gemacht, um eine bessere Konstruktion für den Ausleger zu bekommen. Wettbewerb fand statt, die beste Konstruktion ausgewählt, der Gewinner bekam eine kleine Belohnung.
    Kurz darauf schrieb Marcin dazu im Wiki, die Konstruktion müsse vereinfacht werden und es sollten die gleichen Quadratrohre wie beim Lifetrac verwendet werden.
    Wozu so ein Wettbewerb, wenn Marcin es ohnehin besser weiss…

Muss es bei OSE immer ganz primitiv und ganz billig sein ?

Frage 1:
Ist es eigentlich bei einem behaupteten Kostenvorteil, der 1/2 bis 2/3 eines kommerziellen Produkts betragen soll, nötig eine solche Pfennigfuchserei beim Materialeinkauf an den Tag zu legen ?

Frage 2:
Hat die OSE-Führung entgegen den offiziellen Statements sich längst damit arrangiert, dass open source Geräte und Maschinen von minderer Qualität und Leistungsfähigkeit sein werden, weil es OSE US nicht gelingt, etwas Besseres zu entwickeln ?
Ist das einzigste Kriterium mittlerweile einfachste billigste Herstellung ?

Frage 3:
Ist es für einen Erfolg der OSE-Bewegung wirklich nötig, dass jeder auch ohne Erfahrungen im Maschinenbau und mit ein paar einfachen Werkzeugen vom Discounter komplexe Maschinen wie Autos, Traktoren und auch noch „precision CNC multimachines“ bauen kann, weil die Maschinen so primitiv konstruiert sind ?
Oder kann man von einem „Fabricator“, der kompliziertere open source Hardware bauen will, erwarten dass der einige Kenntnisse über Metallbearbeitung besitzt und sich eine Werkstatt einrichtet mit allen nötigen Werkzeugen und auch Werkzeugmaschinen ?

Mike

Hi Mike,

Muss es bei OSE immer ganz primitiv und ganz billig sein ?

Meiner Meinung nach nicht, eine hohe Qualität hat prinzipiell noch ein höhere Priorität. Für mich persönlich liegt der Hauptzweck der Sache (also von OSE) auch nicht in dem angenommenen Kostenvorteil, sondern vor allem in der Unabhängigkeit von Industriellen bzw. Kommerziellen Quellen und in der Möglichkeit selbst über die Produktionsmittel zu verfügen.

Kostenvorteil und auch Qualitätsanspruch an sich sehe ich in Bezug zur zeitlichen Entwicklung:

  1. Kostenvorteil: Gerade im Anfangsstadium wird es wahrscheinlich meist eher so sein, das ein auf ein bestimmtes Produkt (und Massenanfertigung davon) spezialisierter Industriebetrieb kostenmäßig im Vorteil sein wird, da er sich ja bereits seit längerem darauf eingeschossen hat und sämtliche Produktionsvorteile, wie Rabatte beim Materialeinkauf, lang entwickeltes Know-How und Produktionsmittel etc. voll nutzen kann, d.h., eine Einzelanfertigung von vergleichbarer Qualität wird zwangsläufig teuerer sein. Auf mittlere oder lange Sicht hingegen werden diese Vorteile durch das starke Profitstreben der Firma aber wieder „aufgefressen“ (und die Qualität leidet auch oft darunter), d.h., sofern OSE nach einiger Zeit der Entwicklung und Produktion diese Vorteile ebenfalls für sich verbuchen kann könnten die Produkte tatsächlich etwas günstiger angeboten werden, also etwas näher am „Selbstkostenpreis“, da hier nicht Investoren, Bankkredite etc. bedient werden müssen.

  2. Qualitätsanspruch: Im Anfangsstadium wird man hier oft vor der Wahl stehen, entweder Kompromisse machen zu müssen, oder das Projekt/Produkt nicht finanzieren zu können. Ich billige einem Produkt aber auch einen längerfristigen (oder gar nie endenden) Entwicklungszyklus zu, d.h., gerade bei einem frühen Prototypen kann man durchaus mal wieder besseres Wissen einbilligeres Bauteil verwenden, etwa in der Absicht es später bzw. sobald Geld dafür verfügbar ist, durch ein besseres zu ersetzen oder auch einfach nur um selbst Erfahrungen damit zu sammeln, wie schlecht und ungeeignet es denn nun wirklich ist oder obs nicht vielleicht doch reicht - sowas kann man manchmal trotz aller Expertise im Vorfeld schlecht einschätzen und muss es einfach ausprobieren. Ich glaube, je mehr schlechte Erfahrungen man dabei sammelt umso mehr wird sich schon von sich aus eine Tendenz entwickeln, lieber gleich von Anfang an bessere Teile zu verwenden, aber am Anfang muss man da vielleicht etwas „Lehrgeld“ zahlen - oder aber man lässt sich bewusst auf einen möglicherweise „faulen“ Kompromiss ein, damit die Hürden für den Start des Projektes nicht unerreichbar hoch hängen - in dem Fall sollte man aber im Hinterkopf haben, später noch nachzubessern und das dann auch wirklich tun und den faulen Kompromiss auch als solchen kennzeichnen.

Hat die OSE-Führung entgegen den offiziellen Statements sich längst damit arrangiert, dass open source Geräte und Maschinen von minderer Qualität und Leistungsfähigkeit sein werden, weil es OSE US nicht gelingt, etwas Besseres zu entwickeln ?

Oehm, gute Frage, keine Ahnung was die bewegt :wink: Aber wieauchimmer, OSE-US oder auch deren „Führung“ ist für uns oder zumindest für mich keine maßgebliche oder anerkannte Instanz oder Authorität. D.h., ich würde mich keinem wiauchimmergarteten Führungsanspruch von denen unterordnen, die einzige „Führungsinstanz“ oder Authorität die ich akzeptiere, das ist zum einen das, was ich als Konsens unserer Gruppe empfinde und zum anderen die fachliche Authorität einer Einzelperson in einem bestimmten Fachbereich, von deren Expertise ich überzeugt bin (so würd ich mir z.B. jederzeit von Dir etwas darüber sagen lassen, wie Traktoren konstruiert sein müssen und Deiner fachlichen Authorität diesbezüglich unterordnen). Aber, wenn OSE-US auf „billig“ setzt und vielleicht auch noch damit wirbt, dann erscheint mir das höchst zweifelhaft und auf lange oder mittlere Sicht dumm zu sein. Ich denke, wir tuen gut daran uns dieses nicht zu eigen zu machen, sondern prinzipiell auf Qualität zu setzen.


Ist es für einen Erfolg der OSE-Bewegung wirklich nötig, dass jeder auch ohne Erfahrungen im Maschinenbau und mit ein paar einfachen Werkzeugen vom Discounter komplexe Maschinen wie Autos, Traktoren und auch noch „precision CNC multimachines“ bauen kann, weil die Maschinen so primitiv konstruiert sind ? Oder kann man von einem „Fabricator“, der kompliziertere open source Hardware bauen will, erwarten dass der einige Kenntnisse über Metallbearbeitung besitzt und sich eine Werkstatt einrichtet mit allen nötigen Werkzeugen und auch Werkzeugmaschinen ?

Das ist ein etwas schwieriger Punkt, denn obwohl ich natürlich prinzipiell für letzteres plädieren würde, lässt Du dabei m.E. 3 wichtigeRahmenbedingungen aussenvor, die das Ganze etwas relativieren:

  1. Unerfahrene Personen, DIYler, etc.: Zum einen ist es so, das wir ausser Expertise/Experten auch ganz einfach „reine“ Menpower benötigen, d.h., auch unerfahrene aber gutwillige Leute können etwas bewegen, z.B. das ein Projekt als solches überhaupt schonmal in Gang kommt. Und auch Autodidakten können sich entwickeln und etwas lernen, wenn sie sich lange genug mit einer Sache auseinandersetzen und vor allem auch praktische Erfahrungen sammeln. Natürlich ist die Lernkurve dabei länger und das bezahlte Lehrgeld höher , als bei jemand, der die Sache studiert hat. Die Idee von OSE so wie ich sie verstehe beinhaltet aber auch, das eine große Community dahintersteckt, d.h., das eine gewisse Wahrscheinlichkeite oder Chance besteht, das jemand im Publikum genau bei der Sache, wo es bei mir hakt, ein ausgewiesener Experte ist, der mich auf den richtigen Weg bringen kann. Ideal ist es natürlich, wenn so jemand ein Projekt initiiert oder leitet. Aber auch in dem Fall wird es ihm u.U. willkommen sein, wenn auch ein paar Nicht-Experten zusätzlich Menpower beisteuern, die bei entsprechender Anleitung durchaus diesen oder jenen Teil des Projektes erfolgreich (d.h., nach qualitativen Maßstäben) umsetzen können.

  2. Eskann durchaus sinnvoll sein, ein Projekt schonmal anzuleiern, auch ohne Experten, weil sich vielleicht allein durch die Tatsache, das sich etwas tut und das das Projekt als solches in der öffentlichen bzw. medialen Wahrnehmung des Publikums präsent ist, die Experten dann sozusagen „angelockt“ werden und die Sache in die richtigen Bahnen lenken können. (<-- hmm, ok, das hab ich grad schon unter Punkt 1 gesagt, das war redundant :wink:)

  3. Eine guteingerichtete Werkstatt ist eine feine Sache und sollte zumindest langfristig angestrebt werden. Es ist aber die Frage ob bei Noch-nicht-Vorhandensein deswegen ein Projekt nicht gestartet werden sollte, das mag letztlich wohl auch etwas von der Art des Projektes abhängen und muss individuell eingeschätzt und entschieden werden. Aber auch hierbei kann sich der Community-Aspekt günstig auswirken, so kann es z.B. sein, das jemand anders bei sich im Keller entsprechende Maschinen hat und mir das eine oder andere Spezialteil anfertigt und zuschickt. Bei größeren und schwereren Teilen ist es aber sicher ratsam, die nötigen Werkzeuge vor Ort zu haben. Auch kann es ein, das einer ein ausgebildeter Experte ist aber keine Werkstatt hat und der andere hat ne super Ausstattung an Werkzeugen aber weiss kaum damit umzugehen. Wenn sich beide auf der OSE-Plattform finden kann die Sache was werden, aber vielleicht ist es dafür vonnöten, das das Projekt als solches schon mal vorab deklamiert wurde.

Ich möchte das zum Abschluss noch an einem Praxisbeispiel illustrieren und zwar am Reprap-Projekt. Ich würde jederzeit einen selbstgebauten Reprap einem teuren kommerziellen 3D-Printer vorziehen. Ersterer ist mit Sicherheit wesentlich billiger, die Frage ist aber, ob er qualitativ so viel schlechter ist. Und selbst wenn er es in diesem oder jenem Punkt wäre würde ich mir deswegen keine Sorgen darum machen, weil ich weiss, das dahinter eine große und aktive Community steckt, weclhe die Entwicklung ständig weitertreibt. D.h., ein Reprap von heute ist noch gar kein fertiges Endprodukt und ich kannmir auch kaum vorstellen, das dieser Zustand jemals erreicht wird, aber man kann schon heute damit etwas machen. Und morgen wird die Qualität vielleicht noch besser sein, die Auflösung noch höher und die Geschwindigkeit noch schneller. Und ich kann mein Gerät, weil selbstgebaut auch entsprechend anpassen und erweitern, z.B. indem ich den Druckkopf in einem Jahr gegen einen qualitativ besseren austausche. Innerhalb der Community gibt es viele Entwickler, die am Anfang null Ahnung von der Materie hatten aber mittlerweile ganz ausgefuchste Experten sind. Am Anfang haben die sicherlich davon profitiert, dass es auch ein paar „echte“ Experten gab, die die Entwicklung in die richtigen Bahnen lenken oder bei diesem oder jenem Problem effizient Hilfe leisten konnten.

Dieser Effekt ist m.E. typisch und unterscheidet eine Entwicklung und Produktion innerhalb einer Community von einer kommerziellen Variante. Ein weiteres Beispiel wäre die Historie der Unix- bzw. Linux-Entwicklung. Nun sind Open-Source-Software und ein kleines spilleriges Ding wie Reprap Sachen, die man relativ gut in einer lokal verteilten aber über das Internet verbundenen Community entwickeln kann. Bei einer Sache wie einem Traktor oder anderen typischen OSE-Projekten sieht es dagegen schon etwas schwieriger aus. Aber ich denke, das genau ist er Sinn von OSE: Die Prinzipien der Entwicklung von Reprap und Linux auch auf solche Dinge zu übertragen und zu zeigen, das es geht, und wie es geht. OSE-US verstehe ich als einen ersten Schritt in diese Richtung, der aber noch durch viele Unzulänglichkeiten oder sogar grobe Fehler gekennzeichnet ist, ich stimme Dir dabei in vielen Kritikpunkten zu. Aber wir sind nicht die (auch wenn wir auch das OSE im Namen führen) und d.h., das wir einige von deren Fehlern vermeiden können, aber andererseits höchstwahrscheinlich stattdessen ein paar andere, eigene Fehler machen werden :wink: Aber auch aus denen können wir lernen und uns im Laufe der Zeit und von Projekt zu Projekt verbessern. Auch wenn Ausstattung und Expertise nicht von vornherein optimal sein mögen finde ich es dennoch wichtig das sich überhaupt etwas tut, denn nur so haben wir die Möglichkeit Fehler zu machen und daraus zu lernen … und vielleicht machen wir ja auch ein paar Sachen gleich richtig :wink:

Gruss, Oliver

PS: Verdammt, irgendwie ist diese Msg. schon wieder monstermäßig lang geworden, das war nicht meine Absicht und ich will damit auch keine Diskussion anzetteln und fühl Dich jetzt bloß nicht versucht, da genauso lang darauf zu antworten :wink: